Über den Film „Sekem – das Wunder der Wüste“ von Ramon Pachernegg und Jasmine Wagner
Sarah Brockhaus
Nicht nur, dass es grünt und blüht, wo normalerweise nur Wüste wäre: Nein, das Wunder, das Ibrahim Abouleish 1976 ins Leben gerufen hat, ist viel größer: Eine ganzheitlich gedachte Vision, wie ein nachhaltiges Miteinander funktionieren kann.
Der fruchtbar gemachte Boden ist die Grundlage, das Fundament, auf das Sekem heute gebaut ist. Wo vorher Wüste war, lebt heute eine biodynamische Landwirtschaft. Eine Grundlage für das gemeinsame Arbeiten, Lernen und Leben soll sie sein. Und 40 Jahre nach der Gründung von Sekem zeigt sich das immer noch – die biodynamische Landwirtschaftsweise hält ihr Versprechen: Der sandige Wüstenboden ist lebendig, Salzgehalt des Bodens und Wasserarmut sind mit der biodynamischen Anbauweise gut zu regulieren, sogar Kosten und Energiebedarf können gesenkt werden. Aber nicht nur die Art der Bewirtschaftung selbst ist anders, auch das Denken darüber: Die Landwirtschaft in Sekem erfährt vielmehr Wertschätzung als sie es heutzutage weltweit erfährt.
Eine „Wirtschaft der Liebe“ nennt es Helmy Abouleish, Sohn des Sekem-Gründers Ibrahim Abouleish und heute CEO von Sekem. Eine Wirtschaftsweise, die auf Fairness, Unterstützung, Transparenz und Kooperation baut. Ein Traum und eine Vision, buchstäblich eine Oase in der Wüste? Nein, die wissenschaftlichen Fakten zeigen deutlich, dass biodynamische Landwirtschaft weltweit möglich sei, so Helmy Abouleish. Mehr noch: Biodynamische Landwirtschaft ist auch ein Motor gegen die Klimakrise.
Doch wie kann ein Mensch das Begreifen, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Gemeinschaft, Kultur und Ökologie? Wie begreifen wir die Welt als ein System, in dem alles miteinander verbunden ist? Die Antwort, die Ibrahim Abouleish darauf gibt, lautet: Kunst. Nur der Künstler kann diese Verbundenheit von allem vollständig erfassen und begreifen, mit seinen Händen, mit seinem Herzen. Daher ist die künstlerische Bildung auch ein fester Bestandteil in den Schulen und der Universität Sekems.
Wirtschaft und Bildung, Wirtschaft und Nachhaltigkeit, das alles muss kein Widerspruch sein, zeigt Sekem. Die großen philosophischen Gedanken von „Alles ist mit allem verbunden“ leben die Menschen in Sekem praktisch, setzen sie in ihrem Alltag um.
Aus dieser Denkhaltung ergibt sich dann auch ganz automatisch ein politisches Denken: Welches politische System brauchen die Menschen im Moment für ihre Entwicklung? Wo stehen nicht die Potenzialentfaltung des Menschen und der Grundgedanke einer nachhaltigen Entwicklung, sondern andere Interessen im Vordergrund? Darauf gibt es keine absoluten Antworten, sondern nur die, die für eine Gemeinschaft in diesem Augenblick die richtige ist.
Und noch etwas bewirkt das ganzheitliche Denken mit der Gemeinschaft und dem Bildungswesen, wie es in Sekem gelebt wird: Wir haben uns in der Welt in eine so „falsche Richtung“ entwickelt, weil wir zu wenig Lehrer hatten, so die These von Ibrahim Abouleish. Denn Lehrer sind dazu da, uns zu begleiten, uns bei unserer Entwicklung zu helfen, uns zu unterstützen darin, unser Potenzial zu finden – nicht, um uns etwas zu „lehren“. Wer so denkt und andere als Lehrer unterstützt, wer den anderem ohne Wertung begegnet, der stellt am Ende wahrscheinlich fest: Ich selbst habe in diesem Prozess am meisten gelernt. Denn das Voneinander, Miteinander steht im Zentrum: Sei es die Religion, wo die zentrale Frage ist: Was verbindet die verschiedenen Religionen miteinander? Oder sei es in der Frage der Kultur, wo wir ebenfalls viel voneinander lernen können, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. Eher individualistische Kulturen wie in Europa können Gemeinschaft lernen, wie es in Ägypten eher gelebt wird und die Menschen in Ägypten können ermutigt werden, mehr ihr Eigenes zu suchen – damit wir dann zu einem gesunden Mittelmaß zwischen Gemeinschaft und Individualität gelangen.
Solche Lern- und Gedankenimpulse gibt der Film viele. Mit den Gedanken und Fragen, die der Gründer Ibrahim Abouleish und sein Sohn Helmy Abouleish in den Raum stellen, stupsen sie uns als Zuschauer an, laden uns ein, unsere eigenen Glaubenssätze und Gedankenmuster zu hinterfragen. Dass diese Philosophie, die Vision seit vierzig Jahren Wirklichkeit ist, Lebensfreude, Lebenskraft, Lebendigkeit, also ägyptisch: Sekem in sicht trägt, macht Mut und inspiriert. Das macht den Film über dieses Vorbildprojekt zu einem Leuchtturm in der von Krisen bestürmten Zeit, in der wir leben.