Benedikt Maria Trappen: Unermessliche Schönheit und Stille – Eine Reise durch Lappland und die Finnmark

Mike.Kauschke

Mike.Kauschke

Unermessliche Schönheit und Stille
Eine Reise durch Lappland und die Finnmark

Benedikt Maria Trappen

Norwegen ist ein nicht nur in geologischer Hinsicht erstaunliches und bewundernswertes Land. Seit der Entdeckung der enormen Erdgas– und Erdölvorkommen in den siebziger Jahren, ist es auch eines der reichsten Länder Europas, ökologisch und sozialpolitisch vorbildlich und, folgt man dem UN-Index der menschlichen Entwicklung und dem Demokratieindex der britischen Zeitschrift „The Economist“ das am weitesten entwickelte Land weltweit, von dem wir noch manches lernen können.

Unsere Reise führte uns im Juli 2019 mit dem Auto von Pärnu (Estland) nach Tallinn, mit dem Schiff nach Helsinki und von dort weiter über Oulu, Rovaniemi, Karasjok, Porsanger bis zum Nordkap, dem nördlichsten über öffentliche Straßen erreichbaren kontinentalen Punkt Europas. Über Hammerfest und Alta fuhren wir weiter am Langfjorden entlang zum Lyngenfjord, eine Traumstraße. Über Alta, Kittilä, Paltamo, Pallastunturie und Lahti kehrten wir schließlich zurück nach Helsinki. Auf den Besuch der Lofoten mussten wir bei dieser, auch so immer noch 4525 km langen Reise – die Schiffsverbindungen nicht mitgerechnet – verzichten. Grund genug, Norwegen über Stockholm noch einmal zu bereisen.

Die Ansichten entlang der E 6 und der E 69, vorbei an grünen Hügeln, kleinwüchsigen Birken, Flüssen, Wasserfällen, Canyons, Meer, Sand- und Steinstränden, bunten Fischerhäuschen, Holzgestellen, Booten, üppig grünender, blühender und duftender Vegetation, Rentieren und schneebedeckten Bergen sind das Schönste, was ich bisher gesehen habe und übertreffen noch die atemberaubenden Ausblicke vom Highway 1, die Schönheit des Yosemite und der noch menschenleeren Algarve im Frühjahr. Stille, Ursprünglichkeit und Weite sind einzigartig.

Die Straßen führen immer wieder auf und ab endlos gerade aus oder kurvenreich durch Wälder, Seenlandschaften, an Flüssen, Bergen und am Meer entlang, kilometerlang auch durch Tunnel, sogar unter dem Meer, der Nordkaptunnel, der längste von allen, fast sieben Kilometer lang.

Rentieren begegnet man überall, einzeln und im Rudel, auf Straßen, in Wäldern, auf Bergen, am Meer, sogar in den Städten. Einige tragen Glocken. In der selbstverständlichen Rücksicht, die die Menschen auf die domestizierten Tiere nehmen, spiegelt sich das Jahrtausend lange angewiesen sein des Menschen auf das Ren als Zug- und Lasttier, Fell-, Fleisch- und Werkzeuglieferant.

Eine besondere Erfahrung mit dem Überschreiten des Polarkreises ist die Mitternachtssonne, deren andere Seite die Polarnacht ist. Die Sonne steht noch am späten Abend sehr hoch und sinkt nicht unter den Horizont. Von Mitte November bis Mitte Januar ist die Sonne dann überhaupt nicht zu sehen. Wie zum Ausgleich erscheinen in der Polarnacht dann immer wieder Nordlichter, eine faszinierende farbige Erscheinung, deren wegen wir auch im Winter noch einmal dort sein möchten. Die 2011 bis 2013 erbaute Nordlichtkathedrale in Alta trägt diese Erde und Himmel verbindende Erscheinung im Namen. Im Glockenturm hängt eine vergoldete Leiter, wie Jakob sie im Traum sah. Auch sie verbindet Himmel und Erde, wie der Weltenbaum, ein traditionelles schamanisches Element. Das Motto der Alta-Gemeinde lautet „Nahe an Gott – Nahe am Menschen. Wir wollen: Gebend – Fürsorgend – Hoffnungsbringend sein.“

Die Samen, die auch in Lappland und der Finnmark zu Hause sind, sind inzwischen eine weitgehend gleichberechtigte Minderheit. Zweisprachigkeit, auch bei den Ortstafeln, ist seit Jahren in Finnland und Norwegen üblich. Das Sameting, die parlamentarische Vertretung der Samen, tagt seit 2000 in einem einer Kote, dem traditionellen samischen Stangenzelt oder einer Torfhütte nachempfundenen außergewöhnlichen Gebäude in Karasjok, dem eine großzügige und ansprechend eingerichtete Bibliothek angegliedert ist. Die samische Kultur hat schamanische Ursprünge. Im Zuge der Christianisierung wurden noch im 17. Jahrhundert Menschen für den Besitz einer Schamanentrommel hingerichtet.

Lappland gleicht den Naturschutzgebieten Estlands: Seen, Moore, kleinwüchsige Kiefern und Birken, Steine, Wälder.

Die bekannteste Stimme der Samen ist Mari Boine. Die Straße in Karasjok, die zum samischen Museum führt, trägt inzwischen ihren Namen.

Im Grenzgebiet zwischen Lappland und der Finnmark entdeckten wir ein Anwesen, das von tibetischen Gebetsfahnen umweht ist. Der Bön und die samische Kultur haben zahlreiche Schnittstellen.

Nähert man sich dem Nordkap, wird die Landschaft immer karger und einsamer. Steine, Schnee, endlose schmale Straßen, selten vereinzelte Bäume. Bei klarer Sicht liegt das Meer als ruhiger blauer Spiegel mehrere hundert Meter unterhalb der Felsen. Doch kann das Wetter innerhalb weniger Minuten umschlagen und die Sicht gänzlich verhüllen.

Mit allem Nötigen eingerichtete Hütten ermöglichen auch mehrtägige Wanderungen, auf denen man nur wenigen Menschen begegnet und die immer wieder großartige Ausblicke bieten. Einmal führte uns ein verwurzelter, von Steinen übersäter Weg 500 Höhenmeter über die Baumgrenze in einem steilen Geröllfeld über den Gipfel, wobei nur noch in einiger Entfernung aufgestellte farbig markierte Stangen den ungefähren Weg wiesen. Abenteuer und Wildnis werden hier schnell wieder zum Erlebnis und werfen den Menschen auf sich selbst zurück.

In Alta kann man in freier Natur bis zu 7000 Jahre alte Steinritzungen sehen, von denen Archäologen einige rot eingefärbt haben. Rentiere, Pferde, Fische, Menschen, Boote, Jagd- und Alltagsszenen und weitere, auch heute noch rätselhafte Zeichen, die nicht nur abbilden und darstellen, sondern beschwören und bewirken. Der gestaltbildende Blick, der auch beim Entdecken der Steinritzungen erforderlich ist, entspricht in besonderer Weise der animistisch-archaischen Lebensweise, die sich in ihnen ausdrückt. Günter Kunert hat vor Jahrzehnten diesen Blick als wesentliches Merkmal des Dichterischen beschrieben und Dichter „Die letzten Indianer Europas“ genannt.

FINNMARK

Mit jeder Kehre, jedem Tunnel blättert die Finnmark
eine weitere atemberaubende Seite des
traumhaft schönen Bilderbuches auf.

LYNGENFJORD

Auf den Gipfeln lässt der Winter weiße
Flecken zurück als Versprechen und Mahnung.
Sonne und Blütenduft sind nur ein Zwischenspiel.
Doch könnten die Berge im Winter bald aussehen
wie der Sommer in der Finnmark.

LAPPLAND

Selbst abgestorbene Bäume und Äste werden zu Wesen.

Alles ist beseelt.

Rentiere, Menschen.

Zeichen überall.

EINSAME KIEFER

Klein, dürr, verkrüppelt,
windschief, auf steinigem Grund
übersteht sie Stürme und Schnee
auch dieses Jahr.

DIE GLOCKEN VON VASIKELLO

Sie hängen dem Menschen näher als
irgendwo, doch läuten soll er sie nicht.

Unhörbar und unerhört bleiben die
ihnen aufgetragenen Zueignungen und Bitten
aus vielen Ländern Europas.

Wir aber erbarmten uns des stummen Flehens
und brachten sie zum Klingen.

Immer und immer wieder.

Vor allem die eine, gewidmet den Kindern
und dem Frühling der Einigkeit.

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Dr. Elizabeth Debold

For the last forty-some years, I have sought the answer to the question: how can we transform the dynamics of relationship and complexities of desire between women and men so that we all can thrive and reach our full human potential?

This inquiry has taken me from feminist activism in New York City to a doctorate in developmental psychology with Dr. Carol Gilligan at Harvard to a tumultuous global spiritual community that pioneered collective awakening and, finally, to an ongoing experiment in intersubjective emergence in Frankfurt, Germany.

I founded One World in Dialogue, an online forum to explore how intersubjectivity can bring us together across cultures to create new capacities in global consciousness. An author, transformative educator, journalist/editor, community leader and mentor, I have found the answer to my question in the amazing collective emergence of the Co-Conscious We and seek to share its potential in all that I do.