evolve LIVE! Dialog-Event am 5. Oktober in München
mit Franz-Theo Gottwald und Mike Kauschke, leitender Redakteur evolve
EINE KULTUR NATÜRLICHER LEBENDIGKEIT
Sind wir bereit für eine Ethik der Verbundenheit?
Globale Klimaerwärmung, Artensterben, Erosion der Böden – Wir werden uns der ökologischen Folgen unseres Handelns immer mehr bewusst. Und obwohl diese Folgen schon seit Jahrzehnten bekannt sind, fällt es uns schwer, wirksam darauf zu antworten. Warum? Liegen die Ursachen vielleicht weit tiefer, als wir uns bisher eingestanden haben? Vielleicht trägt eine neue Ethik der Verbundenheit mit allem Leben zu neuen Perspektiven bei? Doch was erfordert dieser Bewusstseinswandel von uns, individuell und gesellschaftlich?
Dieses Thema, das wir mehrfach in evolve bewegt haben, wollen wir beim evolve Live! Dialog-Event in München nachgehen. Dafür haben wir Franz-Theo Gottwald eingeladen, der sich als Vorstand der Schweisfurth-Stiftung seit vielen Jahren für einen neuen Umgang mit der Natur und unseren Mitlebewesen einsetzt. Die Grundlage für einen ökologischen Wandel ist für ihn auch die Transformation unseres Bewusstseins, in der wir uns mit dem Lebendigen in uns und um uns tiefer verbinden und daraus handeln.
Auf dem Weg dieser Transformation sieht Gottwald viele Initiativen des lokalen und globalen Aktivismus, die auch einen inneren Wandel umfassen. In einem Interview für evolve spricht er über diese Möglichkeiten eines Aktivismus, der eine solche Kultur der Verbundenheit fördern könnte. Dieses Interview kann eine Einstimmung und Anregung für unseren Dialog in München sein:
Lokal global
Vernetzung im Jetzt
Die Gleichzeitigkeit von globaler Vernetzung und lokalem Engagement ist für Franz-Theo Gottwald kennzeichnend für einen neuen Aktismus. Dabei haben sowohl die Vernetzung als auch das konkrete Handeln auch eine subtile Ebene: ein kollektives Bewusstseins, das uns nonlokal verbindet, und ein Wachsein für die Gegenwärtigkeit des Lebens.
evolve: Der herausfordernde Charakter der sozialen und ökologischen Situation wird immer spürbarer. Die bisherige Praxis des sozialen Aktivismus bringt viele Menschen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, und auch bei Menschen, die spirituelle Praxis leben, entsteht das Gefühl, dass diese Art des Wirkens nicht ausreicht. Durch die sozialen Medien entsteht eine Form von Aktivismus, die neue Dynamiken in unser Bewusstsein bringt. Wie verändert sich nach deiner Einschätzung der Aktivismus heute?
Franz-Theo Gottwald: Mit der Occupy-Bewegung formierte sich zum ersten Mal ein Kollektiv ohne Hierarchie, verbunden durch das Internet, eine Bewegung ohne Anführer mit einem hohen Freiheitsgrad. An dieser Organisationsform zeigt sich, wie die neuen Medien mit ihrem Mobilisierungspotenzial in vielen Ländern parallel eine Bewegung auslösen, bei der jeder auf seine persönlichen Ressourcen achtet und sich nur so weit engagiert, wie es für ihn persönlich verantwortbar ist. Ein zweites Beispiel sind die ebenfalls mediengestützten politischen Aktivitäten von Attac. Politischer Wille gegen Entwicklungen, die man seitens der Attac-Communities nicht für sinnvoll hält, wird wirkungsvoll gebündelt. Es gibt eine jährliche Programmatik mit demokratisch abgesteckten Prozessen der Vorauswahl, sodass globale Anliegen in eine gemeinsame Präsenz gehoben werden und gleichzeitig lokale Aktionen zur politischen Verlebendigung vor Ort mit gleichem Anliegen organisiert werden können. Da baut sich in der Tat ein Bewusstsein auf, das die Spannung zwischen global und lokal in neuer Weise als fruchtbare Stimulierung nutzt. Mensch positioniert sich in dieser Polarität zwischen globalem Veränderungsimpuls und lokalen Aktivitäten und lebt Veränderungsimpulse glaubwürdig für sich selbst, für die eigene Gemeinschaft und vor der Welt. Diese neuen Formen von Aktivismus werden nicht mehr getragen durch Gewerkschaften, Parteien, Kirchen oder andere Organisationen, sondern von Menschen, die ein bestimmtes Anliegen haben und sich lokal – aber mit globalem Bewusstsein – zur real erlebbaren Umsetzung ihres Anliegens verbünden.
e: Im Spannungsfeld zwischen lokal und global entsteht ein Bewusstsein, das durch die Medienrealität in einer neuen Flexibilität und Fluidität gehalten werden kann. Durch die Verbindung von lokalen Communities, die gleichzeitig auch global vernetzt sind, entstehen neues Bewusstsein und neue Realitäten.
FTG: Ja, es werden über die räumliche und zeitliche Entfernung hinweg neue Wirklichkeiten vor Ort geschaffen. Ein schnelles Lernen via weltweiter und gegenseitiger Beobachtung und Kommunikation zwischen vernetzten Aktivisten findet statt. Faszinierend finde ich aber ein anderes Phänomen, das ich subtilen Aktivismus nenne. Damit bezeichne ich den Zusammenhang, dass es auch auf der Ebene eines subtilen, nicht in Sprache oder Handlung manifesten Bewusstseins eine globale Verbundenheit und Wirksamkeit gibt. Wenn Menschen sich in Frankfurt, Köln oder Gelsenkirchen konkret verbinden, um ihrem Willen Ausdruck zu verleihen, z. B. mit einer Demonstration gegen TTIP, mit der Organisation eines Projekts gemeinschaftsgetragener Landwirtschaft oder dem Aufbau eines städtischen Gartens, dem Aufbau eines lokalen Repair-Cafés und ähnlichen konkreten Utopien, dann hat das scheinbar nur lokale Wirkung. Doch durch die Erkenntnisse der Quantenphysik wird klar, dass durch eine subtile globale Verschränkung diese Art von Aktivität auch andernorts gefördert wird: Es bildet sich eine Bewegung und vielleicht entstehen kurze Zeit später in brasilianischen Städten ebenfalls Repair-Cafés, ohne dass irgendeine ausdrückliche Kommunikation stattgefunden hat. Subtil bedeutet also, dass die Wirkung nicht lokal begrenzt bleibt, sondern global »ausstrahlt«.
Der mediale Raum verstärkt dieses Phänomen der Raum-Transzendenz, er schafft eine zeitliche Unmittelbarkeit oder Gleichzeitigkeit des Erlebens, weltumspannend und für viele zugleich. So kann sich in der dreidimensionalen Raum-Zeit auch andernorts etwas manifestieren, was die Welt in einem bestimmten Problemfeld braucht. Es entstehen Emergenz-Phänomene, d. h. viele können sich einklinken und in eine ähnliche Gestimmtheit gehen und es emergiert vielerorts etwas Ähnliches, das lokal angepasst aber gleichzeitig von einer ähnlichen Bewusstseinsströmung getragen ist. Kollektives Bewusstsein hat also die Möglichkeit, durch die medialen Werkzeuge in einer lokal angemessenen Form zu emergieren, und die Aktivitäten werden mittels der neuen Medien und sozialen Netzwerke geteilt. So lernt man voneinander und kann sich vor Ort wieder schneller anpassen. Dadurch entsteht zugleich eine Integrationsdynamik. Wenn ich z. B. das enorme Wachstum des fairen Handels weltweit sehe oder die weltweiten Engagements zum Aufbau und zur Pflege von Wissensallmenden, dann erkenne ich hierin ein offenes, nicht lineares, nicht geplantes freies sich Selbst- Organisieren von Bewusstsein, das konkrete Alternativen zur »Welt als Ware« erschafft.
Wir erleben zudem eine Beschleunigung, eine neue Zeitökologie, bei der alles in Richtung Gleichzeitigkeit geht. Das ist eines der spannendsten Phänomene erweiterten Bewusstseins. Eine Gleichzeitigkeit, die mit einer radikalen Gegenwärtigkeit einhergeht. Durch die neuen Formen der Vernetzung entsteht bei vielen ein tiefes Empfinden der Verbundenheit: Etwas, das früher erst nach langen meditativen Übungen oder im Sinne eines Gnadengeschenks im Bewusstsein von Einzelnen erfahrbar war, ist heute kollektiv von vielen ganz real erlebbar und formt die eigentlichen Bewusstseinsmuster hinter dem neuen Aktivismus. Wann immer ich Menschen aus dem Global Ecovillage Network begegne, erlebe ich z. B. diesen Spirit.
Die Grundlage dieses neuen Aktivismus ist eine ganzheitliche Wahrnehmung der jeweiligen Ist-Situation. Das Handeln vollzieht sich im JETZT, ich muss mit allen Sinnen wahrnehmen, sonst kommt ein Garten nicht zum Blühen, sonst komme ich mit der Gemeinschaft nicht klar. Oder anders formuliert: Sonst laufe ich dauernd gegen meinen Schatten. In diesem Sinn ist Aktivismus auch Bewusstseinsschulung, die auf diese Weise nur im konkreten Tun möglich ist.
e: Siehst du Beispiele in Deutschland, wo dieser neue Aktivismus wahrnehmbar ist?
FTG: Meine frühen Begegnungen mit Menschen im Lebensgarten Steyerberg haben mich auf diese Zusammenhänge hin sensibilisiert. Und heute erlebe ich sie in Gemeinschaften wie Tempelhof, SiebenLinden, Klein Jasedow oder im Lebensgarten Pommritz. Überall gibt es Menschen, die in genau so einer Haltung auf neue Weise aktiv sind. Der Alltag dient als Übung für Bewusstseinsreifung. Bei aller Aktivität werden auch Strukturen des Innehaltens und Reflektierens geschaffen, die dabei helfen, immer wieder anders und neu aktiv zu sein. So bleibt Zeit, sich an die kosmisch-kreativen Quellen anzuschließen. Neu ist hier auch die Vielfalt von Zugängen zu Themen und Problemen, die durch die Menschen entsteht, die sich in die jeweilige Gemeinschaft einbringen. Es gibt mehr Koexistenz, weniger Entweder-oder und die Experimentierfreudigkeit, ohne die aus dem Bereich aller Möglichkeiten nichts werden kann, wurde entideologisiert.
Das Gespräch führte Thomas Steininger.
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald ist Unternehmens- und Politikberater, Stiftungsexperte, Publizist und Autor von Fachpublikationen in den Bereichen Ethik, Nachhaltige Entwicklung, Corporate Responsibility, ökologische Agrar- und Ernährungskultur, Bewusstseins- und Zukunftsforschung. Er ist Vorstand der Schweisfurth Stiftung und Honorarprofessor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltethik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
www.schweisfurth-stiftung.de
evolve LIVE! München
Eine Kultur natürlicher Lebendigkeit
Sind wir bereit für eine Ethik der Verbundenheit?
mit:
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Schweisfurth Stiftung
Mike Kauschke, Leitender Redakteur evolve
Vera Griebert-Schröder, Gastgebende evolve Salon
5. Oktober 2019
10-16.30 Uhr
oekom e.V.
Waltherstr. 29 (Rückgebäude, 2. Stock)
80337 München
https://www.evolve-magazin.de/product/munchen/