Die Kunst des Dialogs – Eindrücke vom “Art of Dialogue”
Mike Kauschke
In der neuen Ausgabe von evolve mit dem Titel „Wir-Räume – Die Transformation unserer Beziehungen“ beschäftigen wir uns mit neuen Methoden der Kommunikation und des Dialogs und den Möglichkeiten, die uns dadurch individuell und gemeinsam zugänglich werden. In unserer Recherche zu dieser Ausgabe ist uns klar geworden, wie viele Menschen und Gruppen sich heute mit diesem Potenzial neuer Wir-Erfahrungen beschäftigen. In einer Zeit, in der unsere Individualität oft an die Grenzen von Vereinsamung, Entfremdung und Sinnleere stößt, ist es vielleicht auch ganz folgerichtig, dass wir nach neuen Formen von Nähe und gemeinsamer Kreativität suchen, die aber auch unsere Individualität miteinbeziehen und stärken. Viele dieser Wir-Räume sind ein offenes Experiment, denn wie wir in einen wertschätzenden Dialog kommen, der uns tief verbindet und den Raum gibt, in dem neue Einsichten und spirituelle Tiefe entstehen können, ist eine offene Frage.
Vor einigen Tagen konnte ich auf Einladung von Freunden an einem dieser Experimente teilnehmen, dem „Art of Dialogue“, ein Seminar, das in der Nähe von Murnau stattfand. Wie sehr wir den Dialog brauchen werden, um in eine lebensfähige Zukunft zu steuern, wurde gleich bei der Anreise deutlich, die von dem unübersehbaren Polizeiaufgebot begleitet wurde, das sich dort weiträumig verteilt auf den G7 Gipfel im nahegelegenen Schloss Elmau vorbereitete.
Art of Dialogue entsprang einer Initiative von Vinzenz Lüps, der an der Universität Innsbruck „Peace Studies and Conflict Transformation“ studiert. Er wurde von der Dialogkultur der Herbstakademie Frankfurt inspiriert, die Möglichkeiten des Dialogs mit einigen Partnern auszuloten. Neben Vinzenz Lüps waren der Kommunikationswissenschaftler Kazuma Matoba, die Künstlerin und Waldorfpädagogin Griet Hellinckx und die Therapeutin und Leiterin des Integralen Salons München Susanya Manz die Gastgeber dieses Wochenendes. Die etwa 30 Teilnehmer kamen neben Deutschland auch aus Slowenien, der Ukraine, den USA und Japan. Das Altersspektrum reichte von 19 bis 75 – von erfrischend neugierigen jungen Leuten aus dem „ProjectPeace“ (einem Bildungs- und Entwicklungsjahr für Frieden, Ökologie und Kulturwandel) bis zu gestandenen Universitätsdozenten. Eine Grundlage für den Dialog war also schon gelegt: die Vielfalt der Stimmen, Lebenserfahrungen, methodischen Zugänge und spirituell-philosophischen Hintergründe. Dass aus so einer Vielfalt der Menschen in recht kurzer Zeit ein dialogisch verbindendes Feld entstehen kann, war für mich eine der stärksten Erfahrungen des Wochenendes.
In Sessions im Verlauf des Wochenendes stellten die vier Gastgeber ihre verschiedenen Ansätze des Dialogs vor. Kazuma Matoba sprach über seinen Ansatz der Cosmopolitan Communication, in der er Inspirationen aus der Anthroposophie, dem integralen Modell nach Ken Wilber und der transparenten Kommunikation des spirituellen Lehrers Thomas Hübl miteinander verbindet. Er ist Leiter des Institute for Global Integral Competence und Professor für Interkulturelle Bildung an der Universität der Bundeswehr in München, wo er immer wieder auch Gelegenheit findet, unkonventionelle Ansätze einfließen zu lassen. (Eine Möglichkeit, Kazuma Matoba und seine Arbeit kennenzulernen, ist der Sommertag der Herbstakademie am 4. Juli in Frankfurt.) In seinem Beitrag und folgenden Übungen wollte er zeigen, dass Kommunikation weit mehr umfasst als verbale Kommunikation. Wenn wir miteinander kommunizieren, sind sowohl beim „Sender“ als auch beim „Empfänger“ nicht nur die rationale Ebene des Verstehens wirksam, sondern auch die emotionale und subtil-energetische Öffnung und eine spirituelle Ebene, die aus einer grundlegenden Verbundenheit mit dem anderen Menschen und der Welt schöpft.
Griet Hellinckx ging vor dem Hintergrund des Modells von Otto Scharmer auf ähnliche Ebenen der Kommunikation ein, die als „Öffnung des Denkens“, „Öffnung des Fühlens“ und „Öffnung des Willens“ bezeichnet werden. Die Öffnung des Denkens ermöglicht es, im Dialog objektive Inhalte zu bewegen und neue Erkenntnisse zu finden. Die Öffnung des Fühlens ermöglicht die wertschätzende Kommunikation, die zu interpersoneller Nähe führen kann. Und die Öffnung des Willens öffnet den Dialog für neue schöpferische Potenziale, die aus dem Dialog selbst „emergieren“, also neu entstehen können. Auf dieser Ebene kann auch das von Scharmer beschriebene „Presencing“ geübt werden, wobei man noch nicht aktualisierte Potenziale in sich selbst und einem gemeinsamen Feld spüren, ansprechen und in Aktion bringen kann. Eine Methode, der wir dann auch in Übungen nachgegangen sind.
Vinzenz Lüps versuchte in seinem Beitrag die Polarität von Wille und Vertrauen im Dialog lebendig werden zu lassen und in der eigenen Erfahrung nachvollziehbar zu machen. Denn einerseits braucht jede Kommunikation einen Willensimpuls und eine Ausrichtung, gleichzeitig kann sie sich erst ganz entfalten, wenn sie von Vertrauen – in sich selbst, in den anderen, in das Leben als Ganzes – getragen ist.
Susanya Manz gab zwischen den Sessions immer wieder Impulse, sich dem Dialog auch spielerisch zu nähern, mit Übungen, die ein Gewahrsein für die Rolle des Körpers im Dialog schärften.
In einer dieser Übungen wurden die Aussagen der Teilnehmer zu ihrem Verständnis von Dialog in verschiedene Themenkomplexe gruppiert. Kleingruppen hatten dann die Aufgabe, im Zusammenhang mit diesem Thema Fragen zu finden, ohne sich auf mögliche Antworten zu konzentrieren. Solange, bis sie die kraftvollste Frage gefunden hatten, die dann szenisch umgesetzt wurde – was auch der humorvollen Seite des Dialogs einen Raum gab. Für weitere Räume von Spontaneität sorgten die jungen Leute aus dem PeaceProject, die einige Übungen, mit denen sie in einem Theaterprojekt experimentiert hatten, an die ganze Gruppe weitergaben.
Und in einen künstlerischen Dialog führte uns Andreas Klocker mit einer „Wasser-Zeichnungen-Performance“. Dabei „malte“ er mit Wasser auf eine angeleuchtete Tafel, es entstanden Formen, Figuren und Gebilde, die sich sofort veränderten, wenn das Wasser trocknete. Es war wie eine Kontemplation über das Entstehen, Verwandeln und Vergehen aller Formen. Als dann mitten in der Performance lautstark ein Gewitter aufkam, wurde es in unserer präsenten Aufmerksamkeit zu einem Gesamtkunstwerk der Elemente.
Im Verlauf der Tage brachten die vielen Dialogformen in Zweier-und Dreiergruppen, in der gesamten Gruppe (bei der ein „Redestein“ den Raum des Dialogs hielt) oder in Körperübungen und Theaterexperimenten uns als Teilnehmer in ein Feld tiefer Resonanz. Diese war für alle spürbar und zeigte, welche sensiblen Räume des Zwischenmenschlichen der Dialog eröffnen kann. Für mich waren es manchmal etwas viele Übungen, die dem „freien Dialog“ nicht so viel Raum gaben, in dem man sozusagen mit leeren Händen gemeinsam der Entwicklungsbewegung des Dialogs nachspüren kann. Und im Modell von Scharmer waren wir nach meinem Eindruck vor allem auf der Ebene der Öffnung des Fühlens oder des offenen Herzens aktiv. Wie alle drei Ebenen – objektives Verstehen, interpersonelle Nähe und die Verbundenheit mit dem Möglichkeitsraums des Dialogs – in eine kreative Synthese gebracht werden können, ist sicher für uns alle ein Forschungsfeld, in dem es noch viel zu entdecken gibt.
Berührend war der Abschluss des Wochenendes, als zwei Studenten aus Kiew, die Kazuma Matoba während eines Vortrags dort kennengelernt und zu diesem Wochenende eingeladen hatte, ihre große Wertschätzung für ihre Erfahrungen in unserem Wir zum Ausdruck brachten. Kazuma Matoba hatte zu einem früheren Zeitpunkt von seinen Erfahrungen in der Ukraine berichtet, Studenten hatten ihm dort gesagt, dass sie keinen Dialog brauchten, sondern bessere Waffen. Die beiden jungen Menschen, für die solch ein liebevolles Wir-Feld, wie es in den zwei Tagen entstand, wohl Neuland war, brachten zum Ausdruck, wie viel Hoffnung ihnen diese Erfahrung gegeben habe.
Als ich dann auf der Heimfahrt wieder an den Polizisten vorbeikam, die die Staatschefs der G7 „bewachen“ sollen, musste ich an diesen Moment denken – und daran, dass unsere Zukunft vielleicht wirklich davon abhängt, ob wir dialogfähig werden.