Denkanstoß: Das spirituelle Herz
Cynthia Bourgeault ist eine moderne Mystikerin und Kontemplationslehrerin, die in ihrer Arbeit die tieferen Dimensionen unseres Herzens erforscht. In der Ausgabe 09 von evolve zum Thema „GANZ NAH: Intimität als Herz des Lebens“ bezeichnet sie in ihrem Beitrag „Das Sakrament der Verletzlichkeit: Über die Intimität mit dem lebendigen Kosmos“ unser Herz als ein Wahrnehmungsorgan für Intimität:
„Aus einer spirituellen Sichtweise betrachtet, besteht die natürliche Aufgabe und die Funktion des Herzens darin, zu sehen. Intimität ist der Modus, durch den das Herz sieht, weil es in die Dinge hineingeht, sich mit ihren Schwingungen verbindet und sie von innen erkennt. Aber diese Fähigkeiten des Herzens können nur entstehen, wenn das Herz von den Leidenschaften befreit wird. In der Tradition heißt es, dass Leidenschaften steckengebliebene Emotionen sind, verbunden mit einer Menge Drama, das sich um eine festgelegte Betrachtungsweise dreht. Nur wenn sich das Drama beruhigt und sich die emotionale Bedürftigkeit entspannt, bewegt sich das Herz natürlicherweise in diese Art von grenzenloser Intimität, die sehen kann, ohne zu verletzen.
In der spirituellen Praxis können wir lernen, durch diese Transformation zu gehen: Wir verstehen das Herz nicht mehr als Sitz unserer Emotionen, persönlichen Leidenschaften, Bedürftigkeiten und unseres Willens. Stattdessen erleben wir das Herz als umfassende transpersonale Quelle des Sehens und «Inter-Sehens» in Verbindung mit allem anderen.
Deshalb ist der Prozess der Kenosis oder der Nicht-Anhaftung im Christentum so wichtig. Wenn wir lernen, nicht anzuhaften und unsere Bedürftigkeit loszulassen, werden die Dinge, die wir loslassen, nicht einfach weggehen, sondern sie fallen in einen größeren, weiteren Kontext.“
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