DEMOKRATIE ALS OFFENER DIALOG: evolve LIVE! Dialog-Event in Linz mit Claudine Nierth

Mike.Kauschke

Mike.Kauschke

evolve LIVE! Dialog-Event am 7.Mai 2021

Mit Claudine Nierth (Impulsgeberin, Vorstand Verein Mehr Demokratie e.V.), Dr. Thomas Steininger, Herausgeber evolve, David Packer Gastgebender evolve Salon

DEMOKRATIE ALS OFFENER DIALOG
Können wir unser Zusammenleben ko-kreativ gestalten?

Was ist die Zukunft unserer Demokratie? Eine Frage, die wohl uns alle insbesondere im Kontext der Pandemie-Situation sehr bewegt. Claudine Nierth, Politaktivistin und Mitbegründerin des Vereins »Mehr Demokratie!«, setzt sich seit vielen Jahren für mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie ein. Ihre Erfahrung: »Politik wird besser, wenn die Menschen beteiligt sind!« Bei unserem evolve LIVE! Event in Linz möchten wir im Kontext ihrer praktischen Erfahrungen gemeinsam herausfinden, welche ko-kreativen Kräfte sich entfalten können, wenn wir bereit sind, uns in politische Prozesse aktiv einzubringen. »Sprich, damit wir uns begegnen«, sagt Claudine Nierth. In diesem Sinne möchten die Dialogräume des Events tiefere Begegnungen möglich werden lassen. Im Zuhören und gemeinsamen Forschen kann zwischen uns etwas Neues entstehen, das politische Wirkungen zeigt.

Zur Einstimmung auf das Event vermittelt das Interview mit Claudine Nierth, das in Ausgabe 23 von evolve zum Thema »Was das Geld mit uns macht« erschienen ist, erste Inspirationen für das, was wir miteinander bewegen können, wenn unsere persönliche Offenheit und die Vision einer offenen Gesellschaft, die aus uns allen lebt, zusammenfinden.

Aus Liebe zur Demokratie

Bürgerbeteiligung als schöpferische Kraft

evolve: Wie bist du zum Thema »direkte Demokratie« gekommen, was hat dich daran so begeistert oder fasziniert?

Claudine Nierth: Mit 16 erging es mir genauso, wie gerade den Jugendlichen bei »Fridays for Future«. Damals demonstrierten wir gegen die Pershing-Stationierung auf der Schwäbischen Alb. Ich befand mich in der 108 km langen Menschenkette zwischen Ulm und Stuttgart. Als es hieß »Die Kette ist jetzt geschlossen« hat es mich gepackt. Ich dachte: >Jetzt bin ich ein Glied in dieser endlos langen Kette und wenn ich loslasse, ist da eine Lücke.< Das hat mich politisiert, weil mir klar wurde: Ich möchte immer ein Teil dieser Kette, dieser Gesellschaft sein. Das war ein sehr starkes politisches Erlebnis von Wirksamkeit. Dann habe ich mich bei Amnesty, Greenpeace und der Aktion Volks-Entscheid engagiert. Da hat es bei mir Klick gemacht: Ich kann demonstrieren oder Briefe schreiben und Petitionen unterzeichnen, aber da bin ich immer Bittsteller. In mir entstand die Frage, wie wir die Politik direkter mitgestalten können, und dabei schöpfte ich sehr stark aus meinen Erfahrungen in der Kunst.

e: Welche Bedeutung hat die Kunst in deiner politischen Arbeit?

CN: Ich habe Eurythmie studiert und war in einem kleinen Ensemble auf der Bühne. Das war mir aber bald zu weit weg vom Menschen. Schon damals war ich mit dem Erweiterten Kunstbegriff von Beuys vertraut, bei dem die Schöpfungsqualität im Mittelpunkt steht. In der Kunst wirken für mich die höchsten Maßstäbe: Wahrheit, Schönheit, Güte, Stimmigkeit. Diese Kriterien hat jeder Mensch in sich, dazu braucht es keine Vorkenntnisse. Als Mensch kannst du sofort an diesem Gestaltungsvorgang teilhaben. Das fasziniert mich bis heute. In dieser Gestaltung entsteht Schönheit, wenn ich die Position eines jeden verstehe und sie zusammenbringe. Die unterschiedlichen Blickwinkel bringen das Thema, das in der Mitte steht, auf eine neue Ebene, in eine neue Qualität. Und das ist ein schöpferischer Prozess, zu dem jeder Mensch sofort in der Lage ist.

e: Für dich ist das Modell der direkten Demokratie und der stärkeren Bürgerbeteiligung eine Möglichkeit, um diese schöpferische Mitwirkung zu unterstützen?

CN: Die direkte Demokratie ist die notwendige Ergänzung zu der repräsentativen Demokratie der Parlamente, in denen Delegierte ihre Arbeit tun. Durch die direkte Demokratie kann jeder Einzelne eine Initiative auf den Weg bringen, die die Parlamente erreichen und bereichern kann. Und dazwischen steht das interessante Element der Bürgerbeteiligung: der Dialog. Das heißt, du nimmst eine Handvoll Menschen, idealerweise per Los ausgewählt, damit du möglichst einen Querschnitt der Bevölkerung hast, und bringst sie in einem Forum zusammen. Dann können zum Beispiel hundert Personen einen Inhalt beraten und diese Beratungsqualität ins Parlament eingeben. So kann die Qualität der gemeinschaftlichen Intelligenz bis ins Parlament hineinwirken und Parteien entlasten. Und je vielfältiger eine Gemeinschaft ist, desto besser sind der Prozess und das Ergebnis. Wenn du hundert Leute zusammensetzt, die ihre Blase verlassen und sich miteinander einem Thema widmen, ist das schon eine Verwandlung ins Neue hinein oder es ist ein Gefäß, in dem Neues entstehen kann.

e: Arbeitest du auch mit solchen Prozessen, wie du sie beschrieben hast?

CN: Was wir gerade gesellschaftspolitisch ausprobieren, ist der sogenannte »Bürgerrat Demokratie«. Per Los suchen wir bundesweit 160 Bürgerinnen und Bürger, die im September in Leipzig zusammenkommen und an zwei Wochenenden zu der Frage tagen: Was fehlt der Demokratie? Soll unser Parlament noch ergänzt werden durch solche Elemente wie Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie? Die Ergebnisse werden dann an den Bundestag übergeben. Das ist so ein organisierter, moderierter Raum der kollektiven Intelligenz. Darin geht es vor allem auch um eine Kultur des Hinhörens und der Mitgestaltung: Das, was uns in der Demokratie fehlt, versuchen wir gerade selber zu kreieren.

e: Wie siehst du die Möglichkeiten der direkten Demokratie nach Erfahrungen wie dem Brexit?

CN: Beim Brexit wurde ein Referendum von oben initiiert. Damit erhält ein Premierminister noch zusätzliche Macht, d. h. er bestimmt die Frage, den Zeitpunkt, und kann es für den eigenen Machterhalt instrumentalisieren. Es bleiben drei Monate, um so eine existenzielle Frage zu entscheiden, das ist eine komplette Überforderung. Das sind aber Verfahrensfragen, denn die Qualität einer Entscheidung hängt davon ab, wie der Weg und die Qualität sind, die zur Entscheidung führen.

e: Hat sich in den Jahren deines Engagements für direkte Demokratie dein Blick auf die Demokratie verändert?

CN: Mir ist immer klarer geworden: Wenn die Demokratie nicht gut funktioniert, dann ist die Liebe zu den Menschen nicht tief genug. Wenn ich meine Blase verlasse und ein Interesse am Anderen entwickle, dann kann ich beginnen, den anderen zu verstehen. Dieses Verstehen des anderen ist eine Liebes-Geste. Ich muss ihm nichts überstülpen, ich muss ihn nicht überreden; ich muss nur zuhören und verstehen, was seine Beweggründe sind. Natürlich muss ich mich nicht gemein machen mit seinen Beweggründen. Solch ein Raum des Hörens ist bewusstseinsbildend. Allein die Tatsache, dass wir uns zusammen einer Sache widmen, die wir gemeinsam gestalten wollen, ist schon Prozess der Bewusstseinsbildung. Ein Beispiel ist das Volksbegehren zum Artensterben in Bayern. Das hat einen Bewusstseinsbildungsprozess in Gang gebracht, bis in die Landesregierung, bis ins gesamte Bundesgebiet und in die EU hinein.

e: Setzt du für die Weiterentwicklung der Demokratie auf die junge Generation und eine Bewegung wie die Fridays for Future?

CN: Fridays for Future ist eine Bewegung, die tatsächlich aus der Zukunft kommt. Die jungen Leute erleben schon so selbstverständlich das Neue, weshalb das Alte sie so überhaupt nicht interessiert, also Parlamente, Pressemitteilungen, Strukturen. Sie tun einfach, was sie für richtig halten. Deshalb denke ich, was momentan die Gesellschaft und die Demokratie am meisten stärkt, ist die Individualität. Je mehr du den Einzelnen befähigst, seine Fähigkeiten zu entfalten, du seine Freiheit und Selbstbestimmung stärkst, desto weniger manipulierbar ist eine Gesellschaft. Das ist momentan die stärkste Gegenkraft zu den zentralistischen Kräften der festen Strukturen und auch den rechtspopulistischen Ideologien der Angst. Und ein Teil dieses Wandels ist Friday for Future, obwohl das dort noch nicht so ausdifferenziert ist. Aber man merkt, das sind ganz junge Kräfte, die so unverbraucht sind und eine große Vision mit sich bringen.

e: Du bist ein Mensch, der auch eine spirituelle Verwurzelung hat, wie erlebst du deine politische Arbeit für eine Erneuerung der Demokratie im Kontext deiner inneren Ausrichtung?

CN: Ich bin überzeugt, dass es eine Schöpfungskraft gibt, die den gebeugten Menschen wieder aufrichten und die klaffende Wunde schließen kann. Die Kraft des Lebendigen, die immer ausgleicht und gesundend wirkt. Ich kann mich dieser Kraft widersetzen oder ich kann mich diesen Kräften anschließen und mit ihnen zusammenarbeiten. Ich persönlich habe vor einigen Jahren beschlossen, mich nicht mehr mit Widerständen aufzuhalten, sondern nur darum zu kümmern, dass Fruchtbares entsteht. Das Universum ist immer gegenwärtig. Das ist ein Forschungsfeld: In jedem Moment und jedem Gespräch kann ich diese Schöpfungskräfte so zulassen, dass die Begegnung bereichernd wird. Dann ist etwas Neues entstanden. Wenn ich mit dieser Haltung mit einem Politiker spreche, auf der Straße demonstriere oder einen Bürgerrat organisiere, dann erlebe ich das für mich als ein größeres, breiteres Bewusstseinsspektrum, in dem das mögliche Neue schon spürbar wird.

Das Gespräch führte Mike Kauschke.

evolve LIVE!
DEMOKRATIE ALS OFFENER DIALOG
Können wir zusammenleben ko-kreativ gestalten?

Impulsgeberin: Claudine Nierth
David Packer Gastgebender evolve Salon
Dr. Thomas Steininger, Herausgeber evolve

7. Mai 2021
17-21.00 Uhr

https://www.evolve-magazin.de/product/linz-demokratie-als-offener-dialog/

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Dr. Elizabeth Debold

For the last forty-some years, I have sought the answer to the question: how can we transform the dynamics of relationship and complexities of desire between women and men so that we all can thrive and reach our full human potential?

This inquiry has taken me from feminist activism in New York City to a doctorate in developmental psychology with Dr. Carol Gilligan at Harvard to a tumultuous global spiritual community that pioneered collective awakening and, finally, to an ongoing experiment in intersubjective emergence in Frankfurt, Germany.

I founded One World in Dialogue, an online forum to explore how intersubjectivity can bring us together across cultures to create new capacities in global consciousness. An author, transformative educator, journalist/editor, community leader and mentor, I have found the answer to my question in the amazing collective emergence of the Co-Conscious We and seek to share its potential in all that I do.