Renata Keller
Gestern nahm ich an einer Veranstaltung teil, die mich wie noch selten ein solches Ereignis, zutiefst berührt hat. Es fand am Toten Meer statt. Organisiert von der Bewegung Women Wage Peace ( WWP; Frauen wagen Frieden), die sich äußerst ernsthaft um ein endgültiges Friedensabkommen zwischen Israel und Palästina bemüht. Es sollte, nach einem 14-Tage-Marsch durch ganz Israel, die letzte große Veranstaltung sein, mit verschiedenen Veranstaltungen an vielen Orten – im Norden, Süden, Westen und Osten. WWP will Frauen von allen Seiten zusammenbringen – arabische und palästinensische Frauen, orthodoxe Siedlerinnen, liberale Israelinnen. Und sonst noch all die vielen verschiedenen Mischungen, die man an einem Ort wie Israel findet, wo die Bevölkerung aufgrund seiner komplexen Geschichte so vermischt ist, und gleichzeitig von vielen arabischen Ländern umgeben ist.
Ich fuhr früh am Morgen mit meiner guten Freundin Yael Treidel, eine der Hauptorganisatorinnen dieser Bewegung, zu dem Ort, wo die Veranstaltung stattfinden sollte, in die sogenannte Area C in der Westbank, wo sich auch die jüdischen (illegalen) Siedlungen befinden und wo die israelische Regierung die Kontrolle und militärische Sicherung hat. Es ist der einzige Ort, wo sich Israelis und PalästinenserInnen treffen können, ohne dass die PalästinenserInnen eine Genehmigung einholen müssen … Wir fuhren das Endstück mit dem Bus dorthin, die Straße dorthin wurde von der israelischen Armee und Polizei abgesichert.
An einer Stelle musste der Bus plötzlich anhalten, weil eine Kamelherde die Straße überquerte. Wir hatten also definitiv die Wüste erreicht! Und wir waren 400 Meter unter dem Meeresspiegel, nicht weit vom Toten Meer entfernt. Als wir ankamen, empfing uns ein wunderschönes, riesiges beiges Zelt. Die Leute drinnen waren bereit für die Ankunft von den Tausenden von Frauen, die bald mit Bussen ankommen sollten. Die Landschaft um uns herum war atemberaubend, Hügel und Berge aus Sand in wunderschönen Ausformungen mit Blick auf die leicht umnebelten Hügel der weiteren Wüste.
Die Hitze zeigte uns, dass wir in der Wüste waren – es war Morgen und bereits 35 Grad. Dann kamen die ersten Busse an. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hatte den palästinensischen Frauen erlaubt, am Marsch teilzunehmen, deshalb wurden ungefähr 3000 Frauen aus Palästina erwartet. Als sie schließlich das Zelt betraten, alle in ihren schönsten Sonntagskleidern, war ich überwältigt. Etwas geschah in mir, das ich nicht erwartet hatte. Ich bin weder Israeli noch Araberin, und ich bin von dem jahrelang andauernden Konflikt nicht wirklich persönlich betroffen. Aber als sie hereinkamen und von den Organisatorinnen von WWP und uns allen anwesenden Frauen willkommen geheißen wurden, passierte etwas, das sich mit Worten nur schwer ausdrücken lässt.
Es war so viel Freude, tief empfundene Verbundenheit und auch ein Gefühl der Befreiung. Wir konnten uns gegenseitig begegnen ohne Feindschaft. Es war einfach: Wir sind verbunden in unserem Wunsch nach Frieden und Liebe. Als das Zelt sich mit immer mehr Frauen füllte und wir ungefähr 10.000 Frauen waren, zeigte sich diese Freude in spontanen Tänzen, die in verschiedenen Ecken des Zeltes begannen. Wir tanzten zusammen zu rhythmischer, arabischer Musik auf freudvolle, respektvolle und behutsame Art – Palästinenserinnen, Israelinnen, Europäerinnen und wie auch immer man Menschen auch sonst noch bezeichnen kann.
Es brauchte nicht viele Worte. Ich unterhielt mich mit einer Gruppe von Palästinenserinnen, die fast kein Englisch sprachen, aber wir tauschten unsere Namen aus, erklärten uns gegenseitig ihre Bedeutungen und lachten miteinander. An einer Stelle fragte mich eine der Frauen, ob ich Kinder habe und ich sagte „Nein“. Sie lachten und sagten, „Lucky you“ – „Du Glückliche“. Wir lachten. Am Ende des Gesprächs nahm eine Frau meine Hände und sagte: „Willkommen in Palästina“. Es kam aus dem Herzen, würdevoll und warm. Ein tiefer Stolz auf dieses Land erreichte mein Herz. Eine weitere Frau sagte mir, dass sie eine Beduinin aus der Umgebung sei. Sie wirkte selbstsicher und sehr glücklich.
Nach einem sehr kraftvollen Aufruf für den Frieden, der von starken Frauenstimmen in Hebräisch, Englisch und Arabisch ausgesprochen wurde, begannen wir mit dem Marsch. Es fühlte sich an wie ein Augenblick aus der Bibel – nur dass er in neuen Begriffen gefasst war, in einer neuen Sprache, eine tief überzeugte neue Sprache, die auf zu vielen schmerzhaften Erfahrungen von Krieg und Aggression auf unserem Planeten basiert, und der Sehnsucht nach einem friedvollen Zusammensein. Daraus hat sich ein tiefes Wissen entwickelt, dass uns nur ein bewusstes Wahrnehmen des anderen aus einer Erfahrung der Einheit zu wahrem Frieden führen kann. Die Frauen sangen auf dem Weg verschiedene Lieder in Hebräisch und Arabisch – und die Freude unter uns war überwältigend.
Als wir über die Hügel zu den Hauptzelten herunterkamen, war die wunderschöne Kleiderskulptur der Künstlerin Adi Yekutieli am Horizont zu sehen, so als würde sie sagen: Frauen der Welt vereinigt euch!
In den zwei riesigen Zelten hielten verschiedene Aktivistinnen Reden, darunter waren auch Carol Gilligan, Riman Barakat, Dr. Tehab Abed Elhalim und Zeruya Shalev, die mit einem Gebet mit allen Frauen im Zelt den Abschluss machte. Es gibt Details, die ich hier nicht vertiefen kann, um den Blog nicht zu lang zu machen. Ich sage nur, dass dies ein historisches Ereignis war, genauso wie der Abend in Jerusalem, wo sich dann 30.000 Frauen dem Friedensmarsch anschlossen.
Was bleibt mir in Erinnerung? Ich werde niemals die Umarmungen und Blickkontakte mit den vielen Frauen vergessen; insbesondere nicht die palästinischen Frauen, die so viel Liebe, Hoffnung und Freude ausstrahlten. Frieden beginnt in unserem eigenen Herzen und in unseren Beziehungen mit unseren Mitmenschen. Diese Siedlerfrauen, linksorientierten und arabischen Frauen sind bereit, einander zuzuhören, die Meinungen der anderen Seite zu hören. Sie verändern auch das öffentliche Bewusstsein, weil sie zeigen, dass Frauen in den Friedensprozess einbezogen werden sollten und darin ihre wahren Stärken und ihre Liebe für das Leben zum Ausdruckbringen.
Wenn ich sehe, wie meine Freundin Yael Treidel mit ihren Mitschwestern zusammenarbeitet, kann ich beobachten, wie sie gemeinsam die Diskurse verändern. Sie entwickeln eine Fähigkeit des Verhandelns, die auf Liebe, Respekt und Würde beruht und nicht auf Angst und Macht. Alle Beschlüsse werden gewissenhaft mit Sorgfalt gefasst. Sie sorgen intuitiv dafür, dass der Prozess nicht fragmentiert, sondern sich selbst mit etwas Tieferem verbindet, das menschlicher und schöner ist als Macht, Zynismus und Vorurteile.
Wie Yael Deckelbaum, die beeindruckende Lead-Sängerin der Bewegung in einem ihrer Lieder „Women of the World Unite“ singt: „Es ist Zeit, dass die Frauen von ihrem Schönheitsschlaf aufwachen … die Zivilisation braucht eine Neubewertung und Neuentwicklung … wir haben die Verantwortung für die Erhaltung des Lebens … Frauen der Welt vereinigt euch!“
Hier können Sie das Lied der Bewegung hören, das Yael Deckelbaum zusammen mit Miriam Toukan geschrieben hat: „Prayers of the Mothers“.
„Die Begegnung mit dem, was ganz anders ist als ich, zwingt mich, mich mit meinen Wurzeln zu verbinden.“ Hadassah Froman – ihre schwangere Schwiegertochter wurde in 2016 von einem palaestinensischen Jungen mit einem Messer angegriffen. Sie hat sich dann entschieden, das was Leben ist zu unterstützen und wurde zur Friedensaktivistin.
Bericht in der Tagesschau über Women Wage Peace