Energie im Zwischenraum
Ein Interview mit der Künstlerin Claudia Volders
Die Ausgabe 14 von evolve haben wir mit Arbeiten der holländischen Künstlerin Claudia Volders gestaltet. Wir sprachen mit ihr über das Anliegen ihrer Kunst.
evolve: Was ist die Inspiration und das Anliegen deiner Kunst?
Claudia Volders: Alle meine Arbeiten haben etwas mit Energie zu tun. Wenn zwei Komponenten oder zwei Personen zusammenkommen, dann hat jede von ihnen eine eigene Energie, aber man kann auch die Räume dazwischen spüren. Die meisten Menschen kennen die Erfahrung, dass man die Energie in einem Raum, in dem sich Menschen befinden, spüren kann. Oder wenn man in ein Museum kommt, gibt es viele schöne Kunstwerke, aber oft werden wir von einer bestimmten Malerei angezogen. Wir spüren etwas zwischen der Malerei und uns. Ich bezeichne das als Energie oder Inspiration. Diese Energie oder Inspiration verarbeite ich in meiner Kunst, bringe sie in die Materie.
e: Was fasziniert dich so an diesem Phänomen der Energie in den Zwischenräumen?
CV: Ich suche immer nach Verbindung, wie jetzt in dem Raum zwischen dir und mir. Wenn wir diese Bewegung sichtbar und spürbar machen, dann können wir eine gemeinsame Richtung finden, was nicht bedeutet, dass du denkst wie ich oder ich denke wie du. Wir können die Energie zwischen uns bewegen.
Wir leben in einer sehr individualistischen Zeit und fühlen uns oft isoliert. Wir wollen zu einer Gruppe dazugehören, um uns zugehörig zu fühlen. Dadurch identifizieren wir uns mit einer Gruppe, und wir erleben heute eine zunehmende Polarisierung. Deshalb denke ich, dass heute der Raum auch zwischen polarisierenden Gruppen sehr wichtig wird. Kunst hat hier heutzutage eine besondere Verantwortung, der Polarisierung entgegenzuwirken und Räume zu schaffen, in denen unterschiedliche Sichtweisen sich begegnen können. Nicht, um einen Mittelweg zu finden, sondern um den Zwischenraum in Verbundenheit auszuloten, damit etwas Neues, Integrierendes entstehen kann.
e: Du arbeitest als Künstlerin auch mit Kindern. Wie sieht diese Arbeit aus?
CV: Ich vergleiche den Prozess des Lernens mit dem Prozess der Malerei. Vereinfacht gesagt ist der erste Schritt die Expression, der Ausdruck. Dabei gehe ich mit ganzer Emotion, mit ganzem Wesen in das entstehende Bild. Als Zweites kommt die Ratio, ich nehme etwas Abstand und denke nach, welche Formen und Elemente wichtig sind. Darauf folgt ein Schritt, der etwas wie eine Meditation ist, dabei bringe ich besondere Aufmerksamkeit in alle Details. Diese drei Schritte sehe ich auch im Lernen von Kindern. Als Erstes sind sie mit großem Enthusiasmus dabei und spielen. Dann gibt es einen Moment, wo sie darüber nachdenken, was sie in dieser Situation noch brauchen oder was sie wollen. Darauf folgt ein Prozess der Verinnerlichung, in der die Sache oder das Erlebte zu etwas Eigenem, zu eigenem Wissen wird. Durch diesen Prozess kann Wissen wirklich verinnerlicht und nicht nur über Bücher aufgenommen werden.
Mit Kindern nutze ich sowohl theoretisches Wissen als auch praktische Übungen zur Kunst. Ich inspiriere die Kinder, selbst kreative Lösungen zu finden. Durch die Arbeit mit Kunst wird die Vorstellungskraft der Kinder trainiert, sie lernen selbstständig denken, entdecken verborgene Talente und geben ihrer innewohnenden Kreativität Ausdruck.
e: Siehst du in deiner Entwicklung als Künstlerin eine bestimmte Richtung oder einen besonderes Fokus?
CV: Seit etwa zehn Jahren bin ich mehr der Ansicht, dass Kunst in Museen und Galerien nur ein Ausdruck der Kunst ist, um in der Gesellschaft etwas zu bewirken. Ich denke, der Abstand zwischen Kunst und Gesellschaft sollte immer kleiner werden. Deshalb konzentriere ich mich nicht mehr nur auf Museen, sondern versuche Kunst stärker in die Gesellschaft zu bringen. Deshalb arbeite ich mit Wissenschaftlern, Kindern oder auch mit Unternehmen zusammen. Oder ich setze mich auf die Straße mit einem Stuhl und Arbeiten von mir, um mit den Menschen über Kunst ins Gespräch zu kommen.
e: Wie arbeitest du in Unternehmen?
CV: Vor einigen Jahren ging ich mit Workshops in Unternehmen, bei denen Mitarbeiter nach ihrer regulären Arbeit noch etwas Kunst erleben konnten, um sich zu entspannen. Aber das war mir zu wenig. Heute arbeite ich mit Teams zusammen und nutze Malerei, um Teamprozesse besser zu verstehen. Wir stehen beispielsweise um eine Malerei herum und die Leute sollen in der Malerei zeigen, wo ihre Organisation steht, wo sie hin möchte und wie der Weg sein könnte. Oft werden dadurch Dinge klar, die auf einem anderen Weg der Kommunikation bisher nicht vermittelt oder geklärt werden konnten.
e: Welche wichtigen Qualitäten kann deiner Ansicht nach die Kunst in die Gesellschaft einbringen?
CV: Ich habe ein Kunstprojekt initiiert, das »Global Draw Project« heißt. Dabei habe ich eine Arbeit gestaltet, eingescannt und an vier Künstler geschickt, die auf diesem Blatt wiederum eine eigene Arbeit gestaltet haben. Diese Arbeit haben sie dann jeweils ihrerseits an vier Künstler geschickt, die auch darauf ein eigenes Werk gestalten – und so weiter. Die jungen Künstler fanden das sehr interessant, weil sie in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der Teilen schon sehr stark verbreitet ist. Sie hatten den Respekt vor dem, was der Künstler vor ihnen geschaffen hat. Sie arbeiten mit der Arbeit des Künstlers in Respekt und Dankbarkeit. Ihre eigene Arbeit bleibt autonom, aber sie geben sie ihrerseits weiter, teilen sie. So können Autonomie und Teilen zusammenkommen. Das geht aber nur, wenn man den Respekt vor dem anderen hat. Diese Qualität der Kooperation und des Teilens halte ich heute für sehr wichtig. Sie schafft die Verbundenheit und die Zwischenräume, in denen wir gemeinsam Neues gestalten können.
Das Gespräch führte Mike Kauschke.
Claudia Volders studierte an der Akademie für Bildende Kunst Maastricht. Neben ihrer Arbeit im eigenen Atelier initiierte sie Projekte mit Wissenschaftlern, Kindern und Unternehmen.