Eine Rezension des Buches »NU Level« von Frank H. Pospischil
von Gerhard Höberth
(Eine kürzere Version dieser Rezension erschien in evolve 18 “Was ist heute heilig? Das Mysterium und wir”.
Als ich das Buch zum ersten Mal in Händen hielt, dachte ich sofort, ›das ist mein Thema‹. Eine Beschreibung der Evolution mit besonderem Blick auf den Menschen und die menschliche Gesellschaft oder wie es im Untertitel auch heißt: »Die grenzenlose Erfolgsgeschichte der Evolution und wie es jetzt für uns weitergeht.« Deshalb ging ich mit hohen Erwartungen an die Lektüre heran. Da konnte zunächst nur eine Enttäuschung erfolgen. Denkt der Autor wirklich, dass Evolution immer nur vorwärtsgeht? Weiß er denn nicht, dass 99% aller jemals lebenden Arten bereits wieder ausgestorben sind? Kennt er nicht die fünf Katastrophen der Erdgeschichte, in der das Leben jeweils fast wieder von vorne anfing? Ist ihm nicht klar, dass wir am Abgrund der sechsten Katastrophe stehen, die diesmal vom Menschen selbst verursacht wird?
Wenn man den Blick nur auf die evolutionäre Geschichte des Menschen vom Urknall bis zum Internet fixiert, ist es doch so, als würde man das Lottosystem nur aus der Perspektive des Gewinners betrachten, als würde es nicht Millionen Spieler geben, die verlieren, damit einer gewinnt.
Aber die Gesamtintention des Buches – so wie ich es schließlich verstanden habe – geht in eine andere Richtung: Der Autor ist keinesfalls so naiv, diese Tatsachen auszublenden. Es geht ihm viel mehr um die Information, dass Evolution mehr ist, als das Glück des blinden Zufalls. Dass es einen kosmischen Trend gibt, der in Richtung Komplexität zielt. Dass die Evolution mit dem Urknall begann und nicht erst mit der Entstehung des Lebens und, dass sie nicht mit dem Menschen endet, sondern über den gegenwärtigen Entwicklungsstand weit hinausweist.
Wir haben heute die Möglichkeit, mit der Evolution mitzugehen, sie sogar aktiv mitzugestalten oder sie zu ignorieren. Aber wir können sie nicht stoppen. Wenn wir sie ignorieren, geht sie ohne uns weiter.
Die Behauptung des Buches, dass uns Evolution helfen wird, unsere Krisen zu bewältigen, darf nicht so gelesen werden, dass wir uns zurücklehnen können und die Evolution alles für uns erledigen wird, weil die Entwicklung immer nur nach oben geht. Sie ist im Gegenteil als Aufforderung zu verstehen, Veränderungen nicht als Gefahr, sondern als Chance aufzufassen und die Weiterentwicklung nicht als Bedrohung des bereits Erreichten zu betrachten, sondern als Steigerung unserer Möglichkeiten und unserer Fähigkeit, das Ganze und seinen Sinn zu begreifen. Man kann auch sagen, dass wir gefordert sind, uns jetzt aktiv an der Evolution zu beteiligen, damit wir den geistigen (!) Ursprüngen des Kosmos durch eine weitere Steigerung der Komplexität näher kommen.
Wir haben heute die Chance dazu. Darauf sollten wir das Augenmerk lenken und nicht auf die Tragödie des verlorenen Paradieses. Dann haben wir kein dystopisches Inferno vor Augen, keine endgültige Apokalypse, vor der wir heil- und ziellos in illusorische Retropien flüchten müssen, sondern ein utopisches Ziel, auf das wir aktiv zusteuern können.
Wie das gelingen kann und was jeder Einzelne von uns dazu beitragen kann, damit wir als Gemeinschaft die Evolution voranbringen, ist Thema dieses ansprechenden Buches. Ein gelungener Blick in die Anforderungen und die Chancen der nahen und fernen Zukunft, der den Pessimismus aufgrund der gegenwärtigen Katastrophen eine optimistische Aufbruchsstimmung entgegensetzt. Ein Buch, das die heutige Zeit mehr denn je braucht, um dem postmodernen und postfaktischen Zeitgeist wieder eine positive Orientierungsoption zu bieten.
Gerhard Höberth ist Philosoph, Künstler, Astrologe, Autor und Verleger.