Vielen Dank für die vielen positiven Reaktionen auf unsere erste Ausgabe von evolve, sie sind uns Inspiration und Ansporn. Nachdem wir beim letzten Mal mit dem Thema Politik den Blick nach außen, in die Beschaffenheit unserer gemeinsamen Kultur, gerichtet haben, schauen wir dieses Mal nach innen. Aber eines haben wir bei der Arbeit an dieser Ausgabe bald erfahren: Je tiefer wir in unser Innen gehen, desto mehr von der Welt kann darin Raum finden. Letztendlich ist es immer ein Anliegen spiritueller Wege gewesen, die Trennung zwischen innen und außen zu überwinden. Und aus dieser Erfahrung von Verbundenheit kommt auch der Impuls, die Welt, in der wir leben, zu gestalten, zu verwandeln.
Als jemand, der dieses Nicht-Getrennt-Sein in unvergleichliche poetische Bilder gebracht hat, gilt Rainer Maria Rilke. Von ihm stammt nicht nur die Wortschöpfung „Weltinnenraum“, die wir als Titel für diese Ausgabe gewählt haben, sondern er wird von unseren Autoren und Interviewpartnern immer wieder als ein Beispiel dafür angeführt, wie wir in uns die Welt spüren können – und wie unser eigenes Innen durch die Welt erfüllt werden kann. Diesen Weltinnenraum und seine Dimensionen von Denken, Fühlen und Intuition wollen wir in dieser Ausgabe von evolve aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.
Joachim Galuska, Psychotherapeut und Leiter der Heiligenfeld-Kliniken, sieht im Rilke’schen „Spüren“ die Möglichkeit für eine tiefere Wahrnehmung von uns selbst und der Welt, in einem Sich-Einlassen auf das Leben, das weiter reicht als unsere Ratio. In einem Interview mit dem unkonventionellen Denker Otto Laske hören wir, dass unser Verständnis von Rationalität aber oft auch sehr eingeschränkt ist. Als Philosoph, Künstler und Entwicklungspsychologe erklärt er, wie unsere kognitive und emotionale Entwicklung aufeinander angewiesen sind, um uns zu einem komplexeren Verstehen der Welt zu führen, das in einer ausgereiften Intuition zum Ausdruck kommt.
Unser Herausgeber Tom Steininger zeigt vor dem Hintergrund unserer kulturellen Evolution, dass intellektuelles Verstehen-Wollen und intuitives Verbunden-Sein zusammengehören. Er beschreibt die Erfahrung echten Dialogs als eine Möglichkeit, diese beiden Aspekte in ihrer Lebendigkeit zu vertiefen.
Viele unserer Autoren und Interviewpartner veranschaulichen auf ihre je eigene Weise, dass Denken und Fühlen kein Gegensatz sind, sondern dass unsere menschliche Reife gerade in einer höheren Synthese beider Grundfähigkeiten unseres Inneren liegt. In diesem Verständnis erweisen sich auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen nicht mehr als zeitgemäß. Elizabeth Debold hinterfragt in ihrem Artikel „Rationale Männer, emotionale Frauen: Über Mythen, die unser Leben bestimmen“ diese hartnäckige Idee, dass Männer mehr zum Denken und Frauen mehr zum Fühlen neigen. Debold zeigt, dass sich darin eine kulturelle Prägung zeigt, statt eine naturgegebene Tatsache.
Ganz besonders freuen wir uns über das Interview mit dem Künstler Olafur Eliasson, der mit großen Installationen im öffentlichen Raum immer wieder für Aufsehen sorgt. Für ihn ist der Betrachter Mitgestalter der Kunst und er spricht leidenschaftlich darüber, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur in Beziehung zur Kunst die Haltung eines Konsumenten verlassen und zum (Kunst-)Schaffenden werden. Denn wie die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe auf verschiedene Weisen aufzeigen, kann sich dieses Schöpferisch-Sein auch in der Entwicklung unserer Innerlichkeit entfalten – und die wiederum ist Teil des einen „Weltinnenraums“, der uns alle verbindet.
Herzlichst
Mike Kauschke