Die Welt ist ein Buch: Ein Gespräch mit Thomas Hübl

Thomas HüblDie Welt ist ein Buch
Ein Gespräch mit Thomas Hübl über transparente Kommunikation

In der aktuellen Ausgabe von evolve zum Thema „Wir-Räume: Die Transformation unserer Beziehungen“ beschäftigen wir uns auch mit der Frage, inwieweit spirituelle Erfahrungen und Einsichten neue Räume der Begegnung eröffnen können. Der spirituelle Lehrer Thomas Hübl versucht mit seinem Ansatz der transparenten Kommunikation unsere Zwischenmenschlichkeit selbst zu einer spirituellen Praxis zu entwickeln. evolve-Herausgeber Thomas Steininger sprach mit Thomas Hübl über die tieferen Dimensionen unserer Interaktion und den Ansatz der “transparenten Kommunikation”.

Thomas Steininger: Was ist transparente Kommunikation?

Thomas Hübl: Uns allen stehen viel mehr Informationen zur Verfügung, als die meisten Menschen verwenden. Jeder Mensch, jede Situation, jede Institution, jeder Kontext ist wie ein Buch. Wenn wir lernen, dieses Buch zu lesen, dann haben wir Zugang zu einer enormen Fülle wichtiger Informationen. Die transparente Kommunikation ist ein Weg, um dieses Lesen der Wirklichkeit zu üben und eine intersubjektive und interpersonelle Kompetenz zu entwickeln, die ich auch als subtile Kompetenz bezeichne.

TS: Damit richtest du also einen Fokus auf die Erschließung verschiedener Perspektiven und Innenräume?

TH: Ja, die transparente Kommunikation eröffnet einen Raum, um von anderen Menschen etwas erfahren zu können und ein tiefes Verständnis anderer Perspektiven zu entwickeln. Dadurch können wir Verständnisbrücken schlagen, die die Trennung, in der wir oft leben, immer mehr transzendieren. Transparente Kommunikation ist eine empathische Kommunikationsform mit einer transpersonalen Perspektive. Wir brauchen eine gewisse Tiefe der transpersonalen Einsicht, damit die transparente Kommunikation wirklich ihre Effektivität erreicht: Wie kann ich in meiner eigenen Perspektive zumindest so viel inneren Raum erzeugen, dass ich eine andere Perspektive nicht mehr nur durch meinen Filter sehe, sondern auch aus einer transpersonalen Ebene heraus wahrnehmen kann.

TS: Wenn ich dich richtig verstehe, muss zu meiner eigenen Perspektive und der Perspektive des Anderen noch eine transzendierende Ebene hinzukommen, in der beide sichtbar werden.

TH: Ganz genau. Dazu gehört auch der Prozess der Integration von Schatten. Es kommen viele Psychologen und Therapeuten zu uns, weil sie sehen, dass sich durch die Übungen, die wir mittlerweile kultiviert haben, eine wachsende interpersonelle Kompetenz entwickelt. Sie erhalten einen tieferen Einblick in die Dynamiken, die zwischenmenschlich ablaufen. Das ist natürlich auch extrem hilfreich für jemanden, der eine Firma oder ein Team leitet oder immer wieder stark in menschliche Dynamiken eingebunden ist. Je tiefer wir diese Dynamiken verstehen, je mehr wir eine Meisterschaft darin entwickeln, desto weniger sind wir darin verwickelt und damit identifiziert.

Subtiles Wahrnehmen

TS: Die Kompetenz, solche Strukturen zu sehen, gibt es auch bei verschiedenen therapeutischen Methoden. Wenn ich die transparente Kommunikation richtig verstehe, dann scheint dadurch aber auch eine gewisse subtile Wahrnehmung trainiert zu werden, die eine direkte Wahrnehmung anderer Innenräume ermöglicht und nicht nur ein strukturelles Erkennen.

TH: Ja, wir schaffen ein kontemplatives Gewahr-Sein, das heißt, für mich ist transparente Kommunikation ein mystischer Prozess. In der subtilen Welt gibt es viele Ebenen von Information, die uns, wenn wir erwachen, immer mehr und mehr zugänglich werden können. Das ist ein Nebenprodukt des Erwachens – aber sehr wirkungsvoll im Alltag. Man kann natürlich strukturell Dinge sehen, man kann zum Beispiel eine bestimmte Körperhaltung, Gestik etc. erkennen und logische Schlüsse ziehen, was dies in einem bestimmten Kontext bedeutet. Wir versuchen darüber hinaus unseren subtilen Wahrnehmungskanal zu schulen, so dass wir Zugang zu einer Information bekommen, die nicht über logische Schlussfolgerungen ableitbar ist, sondern die wirklich aus dem Moment heraus wahrgenommen werden – auch oft Informationen, die derjenige, bei dem wir es wahrnehmen, nicht wissen kann, weil diese Informationen ganz tief in der Geschichte oder im Leben der Person verankert ist.

TS: Das heißt, es wird etwas transparent und man erkennt eine Innenansicht von etwas, das man sonst eigentlich nur getrennt und von außen wahrnehmen könnte.

TH: Genau, und dadurch transzendieren wir ein gewisses Trennungsbewusstsein. Für mich ist das ein nächster Evolutionsschritt von Zwischenmenschlichkeit, wo diese subtilen Wahrnehmungen im Reich des Transpersonalen zu einer zwischenmenschlichen Wahrnehmung werden. Das ist ein Aufdämmern: So wie das Rationale irgendwann aufgedämmert ist, so dämmert auch diese Funktion unseres Bewusstseins auf einer gewissen Stufe von Wachheit auf.

TS: Welche Funktion ist das? Was dämmert da auf?

TH: Was als subtile Wahrnehmung bezeichnet wird, klingt manchmal sehr fantastisch, als Bezeichnung für einen bestimmten Bewusstseinszustand. Für die nächste Stufe von Bewusstsein ist es aber die Normalität – es ist eine menschliche Fähigkeit. Das Rationale war beim ersten Aufdämmern auch etwas Neues. Heute ist es selbstverständlich, dass wir ein rationales Gespräch führen. Man kann es mit dem Lesen eines Buches vergleichen. Dabei sind die Wörter Information; die Buchstaben ergeben eine Bedeutung, die wir interpretieren. Wenn wir ein Buch lesen, dann vergessen wir wahrscheinlich die meiste Zeit, dass wir auf Papier schauen. Dann nehmen wir die Zwischenräume zwischen den Buchstaben nicht mehr wahr, sondern sind so in die Bedeutung eingesponnen, dass wir das Papier vergessen. Das Papier ist wie der Urgrund, wie das Bezeugende, das Bewusstsein an sich. Wenn man diese Kompetenz bis in die Meisterschaft bringt, dann liest man das Buch und nicht die Bücher, die über das Buch geschrieben werden – das heißt, man liest direkt Information in der Wirklichkeit ab, man liest das wirkliche Buch namens Leben.

Die Zukunft einladen

TS: Ist das auch der Grund, warum du es als mystisches Erwachen bezeichnest? Weil es wirklich das Aufwachen zu einer mystischen Realität des Lebens in einer tiefen Dimension ist, die, wenn man zu ihr aufwacht, in die Sichtbarkeit kommt?

TH: Absolut. Darin können auch die potenziell nächsthöheren Bewusstseinsstufen, die in der subtilen Landschaft als Potenzialität angelegt sind, strukturell auftauchen. Wenn wir die transparente Kommunikation wirklich meistern, erhalten wir auch Zugang zu dem, was wir Zukunft nennen – zu unserem überbewussten Potenzial. Wir sind im Augenblick klarer, präsenter, mitfühlender anwesend und erhalten dadurch Zugang zum Überbewusstsein, sprich zur potenziellen Zukunft. Und darin kann es einen Umschwung geben, wo wir nicht mehr hauptsächlich aus der Vergangenheit motiviert werden, sondern aus der Zukunft. Das ist ein großer Schritt des Erwachens, denn dann sind wir von Gott, vom evolutionären Impuls, von der Schöpfung, vom Licht, von der Innovationskraft im Menschen inspiriert. Ich glaube, dass wir dadurch eine Intensität und Präsenz generieren können, in der dies zu unserer Lebensmotivation wird: Es ist nicht mehr die Geschichte, aus der wir kommen, die sich durch uns fortsetzt, sondern die Innovationskraft des Lebens, die zu unserer treibenden Kraft wird. Ein Ziel der transparenten Kommunikation ist, diese innere Anbindung an das, was jeden Moment ständig neu auftaucht, zu ermöglichen.

TS: In dem Maße, wie wir zur Unbegrenztheit und zum Potenzial des Lebens aufwachen, nehmen wir aber auch die Begrenztheit wahr, die in diesem unbegrenzten Raum existiert: Unsere Schatten, durch die wir die Unbegrenztheit des Möglichkeitsraumes beschränken. Aber wir können diese Schatten sehen, weil sie nun im Licht des Möglichen erscheinen.

TH: Durch eine so tiefe Wahrnehmung, die eine hohe Präzision erreichen kann, erkennen wir auch die Schattenaspekte von uns selbst und – was natürlich schwieriger ist – von anderen, die Schatten-Dynamiken, die in Teams, Gruppen und in Beziehungsräumen auftauchen. Diese Aspekte fallen uns nun viel eher auf, weil wir die subtilen Anzeichen erkennen können. Wenn wir diese Schattenaspekte integrieren, werden uns neue Intelligenzpotenziale zugänglich. In diesem Prozess kann eine Sangha als Forschungsgemeinschaft sehr unterstützend sein.
Wir sind individuell und gemeinsam in etwas Tieferem verankert und wenden uns von daher den schon strukturell gewordenen unintegrierten Anteilen unserer Entwicklung zu. Dadurch werden wir zu Menschen mit einer hohen Integrität, einer hohen Liebesfähigkeit, einer hohen Beziehungsfähigkeit und einem großen Mut zur Freiheit. Bezogenheit ist die Basis von Kultur. Eine innovative Kultur wäre eine Bezogenheit, die sich auf den Mut und den Freiheitsdrang, das Neue zu erkunden, einlässt. Wenn wir beides – Bezogenheit und Freiheit – in uns integrieren, dann werden wir zu Menschen, die sich wirklich zu etwas verpflichten können, die sich etwas hingeben können, die Innovation suchen und jeden Moment neu einladen. Das Geniale im Menschen – das, was alle genialen Menschen ausgemacht hat – erkennen wir darin, dass sie diese Innovation für sich freigelegt haben, die dann zum Nährboden für ihr Handeln in der Kultur wurde. So können wir lebendige „Updates“ von uns selbst werden und einen lebendigen und innovativen Kulturbeitrag leisten. Dadurch bleibt die Kultur nicht auf einem Level stehen, sondern hat sozusagen eine eingebaute Funktion, durch die sie sich selbst updatet und sich dadurch im Lebensfluss weiterentwickelt. Ich glaube, was Menschen wirklich glücklich macht, ist das Gefühl, dass sie in eine ganz intime Beziehung mit dem Leben treten dürfen. Gleichzeitig können wir uns auch weiterentwickeln, wodurch der Fluss des Lebens weitergetragen wird.

TS: Das ist schön ausgedrückt. Wenn wir aufwachen, wachen wir auch zu einer Lebendigkeit auf, die wir dann in das Leben bis in die Alltäglichkeit hineintragen können. Diese Offenheit dem Leben gegenüber in uns und zwischen uns eröffnet dann auch viel Raum für kreative Reibung. Dadurch kann ein kreativer Prozess entstehen, wo Neues in seiner Möglichkeit sichtbar wird. Diese Kreativität ist wahrscheinlich auch das, was du ansprichst: Sie macht uns als Menschen glücklich. Denn das das Leben kommt durch uns zu sich selber.

TH: Die Reibung ist ein Bestandteil von Harmonie und nicht der Harmonie entgegengesetzt. Wirkliche Harmonie übersteigt unsere Wahrnehmung. Darum wissen wir nicht, was Harmonie eigentlich ist. Harmonie ist meistens eine Vorstellung vom Leben und nicht das Leben selbst. Aber wenn sich unsere Perspektive ausdehnt, dann sehen wir, dass Reibung und kreative Konflikte ein Teil dieser Harmonie sind. Deshalb müssen wir diese Reibung nicht vermeiden, denn wenn wir uns ganz darein geben, kann sich das Leben durch diese Reibung auf eine höhere Stufe weiterentwickeln.

 

Thomas Hübl ist spiritueller Lehrer und Gründer von „Sharing the Presence“. Seine Arbeit vermittelt er Mystik in einer zeitgemäßen Weise, mit einem Schwerpunkt auf Ausdruck in der Welt und der Bildung einer neuen Wir-Kultur. Er ist Gründer der Academy of Inner Science und veranstaltet jährlich das Celebrate Life Festival.

Mehr zum Thema in evolve 06
Wir-Räume: Die Transformation unserer Beziehungen

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Dr. Elizabeth Debold

For the last forty-some years, I have sought the answer to the question: how can we transform the dynamics of relationship and complexities of desire between women and men so that we all can thrive and reach our full human potential?

This inquiry has taken me from feminist activism in New York City to a doctorate in developmental psychology with Dr. Carol Gilligan at Harvard to a tumultuous global spiritual community that pioneered collective awakening and, finally, to an ongoing experiment in intersubjective emergence in Frankfurt, Germany.

I founded One World in Dialogue, an online forum to explore how intersubjectivity can bring us together across cultures to create new capacities in global consciousness. An author, transformative educator, journalist/editor, community leader and mentor, I have found the answer to my question in the amazing collective emergence of the Co-Conscious We and seek to share its potential in all that I do.