„Was hast du getan?“
Eine Besprechung von „Im Namen Gottes“, das neue Buch von Karen Armstrong
Mike Kauschke
Von der Ordensschwester zur Atheistin zu einer der renommiertesten Religionswissenschaftlerinnen und Fürsprecherin für die Bedeutung der Religion: Der Weg von Karen Armstrong ist beeindruckend und so auch sie selbst. Vor einigen Wochen konnte ich sie anlässlich ihres neuen Buches „Im Namen Gottes: Religion und Gewalt“ in Heidelberg bei einem Vortrag erleben. Dort erzählte sie folgende Geschichte: Wenn sie irgendwo auf ihren Reisen in ein Taxi steigt und gefragt wird, was sie arbeite, taucht eine Antwort in großer Regelmäßigkeit auf. Sie geht in etwa so: „Oh, die Religion ist doch die Wurzel allen Übels. Schauen Sie nur auf all die Kriege, die im Namen eines Gottes geführt werden.“ Angesichts des Terrors des sogenanten Islamischen Staates, der momentan uns alle erschreckt, ist das vielleicht auch nicht verwunderlich. Aber Armstrong betont, wie kurzsichtig und einseitig diese Behauptung ist, die im säkularen Mainstream schon fast zum guten Ton gehört.
In ihrem Buch „Im Namen Gottes“ versucht Armstrong auf 600 Seiten und mit ausführlicher Recherche ein differenziertes Bild der Beziehung zwischen Gewalt und Religion zu entwerfen. Natürlich bestreitet sie nicht, dass Religionskonflikte zu schrecklichen Gemetzeln geführt haben, gerade auch in unserer christlichen Geschichte mit Dreißigjährigen Krieg und Kreuzzügen. Sie möchte aber darauf hinweisen, dass diese Kriege nie nur aus religiösen Motiven geführt wurden, sondern dass stets auch machtpolitische und territoriale Erwägungen eine Rolle spielten. Zudem ist die Trennung von Politik und Religion, wie sie in säkularen Gesellschaften heute angestrebt wird, erst eine späte Entwicklung, die man laut Armstrong nicht auf die Vergangenheit projizieren kann. Sprich: Bis zur Moderne waren Politik und Religion nicht getrennt, sondern eng miteinander verbunden. Deshalb ist es nicht so leicht, die Religion als den Hauptschuldigen zu bestimmen.
Armstrong beginnt ihr Buch mit den Ursprüngen der landwirtschaftlichen Zivilisation in Mesopotamien, Indien und China. Sie zeigt, dass Gewalt in dieser Zeit allgegenwärtig war, Stammes- und Eroberungskriege bestimmten das Leben. Ebenso die Ausbeutung einer einfachen Schicht von Bauern durch einen privilegierten Adel. Interessant ist hierbei ihr Argument, dass diese Gewalt, mit der eine einfache Schicht unterdrückt wurde, so dass eine herrschende Klasse von dem Erwirtschafteten leben konnte, diesem Adel die Freiheit gab, unsere Kultur zu begründen: Wissenschaft, Literatur, Kunst, Religion. Armstrong beobachtet in all diesen Zivilisationen aber eine zunehmende Sehnsucht nach Frieden und einem anderen Umgang miteinander. Und so wurde nach und nach die Haltung geboren, die wir nach Armstrongs Ansicht auch heute dringend brauchen: Mitgefühl. Das Yoga und die Upanishaden im alten Indien, das Tao in China, die Propheten in Israel – sie alle sehnten sich nach Frieden. Sie erkannten, so Armstrong: „Wir Menschen sind fehlerhafte Geschöpfe mit gewalttätigen Herzen, die sich nach Frieden sehnen.“ Die Quelle der großen Religionen war für Armstrong genau diese Sehnsucht nach Frieden und einem mitfühlenden Umgang mit allen Menschen und der Schöpfung. Das war die Geburtsstunde der „Goldenen Regel“, die seitdem das Beste aller Religionen und humanistischen Bekenntnisse inspiriert: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
Im Verlauf des Buches zeichnet Armstrong den Zusammenhang von Gewalt und Religion über die Entstehung des Christentums, des Islams, die Geschichte von Kreuzzügen und Dschihad bis in die Neuzeit nach. Dabei ist Armstrongs Sprache immer gut zugänglich, manchmal auch humorvoll, sie ist eine hervorragende Erzählerin. Aber ihr Buch ist nicht nur eine Geschichtsstunde (wenn auch eine sehr gute): Sie will uns zu einem tieferen Nachdenken über unsere Gegenwart anregen. Zum Einen ist es die unangenehme Wahrheit, wie sehr die Verletzungen der Kolonialzeit oder Zwangssäkularisierungen (ganz zu schweigen vom Irakkrieg der Bush-Regierung) zum Aufstieg des islamistischen Terrors geführt hat. Ihr Hauptanliegen ist aber, die Kernlehren des Friedens und Mitgefühls, die es in den Religionen gibt, als eine wichtige Ressource auf dem Weg in eine friedlichere Zukunft zu sehen. Hier laufen säkulare Ideen von der Abschaffung der Religion Gefahr, buchstäblich das Kind mit dem Bade auszuschütten, denn „vielleicht ist es die Aufgabe religiöser Visionen, uns mit dem göttlichen Unbehagen zu erfüllen, das uns daran hindert, das Unerträgliche einfach hinzunehmen“. Armstrong engagiert sich für einen Dialog zwischen Religion und säkularer Gesellschaft auf Augenhöhe und ohne Vorurteile von beiden Seiten. Vielleicht hängt unsere Zukunft nicht unwesentlich von diesem Dialog ab.