Verantwortung der mystischen Erfahrungswege in Zeiten des Klimawandels – Andrea Schmidt

Mike.Kauschke

Mike.Kauschke

Andrea Schmidt

Verantwortung der mystischen Erfahrungswege
in Zeiten des Klimawandels und der gesellschaftlichen Veränderungen
Andrea Schmidt

Vor ein paar Tagen habe ich wieder einmal ein Interview gelesen, in dem von einem Meditationsanleiter ausdrücklich betont wird, dass die Methode konfessionsfrei sei und mittlerweile überall praktiziert werde, im Business, in Teams, zur Selbstoptimierung. Sie bezöge sich zwar auf Jon Kabat Zinn und sei die am besten überprüfte Methode, ganz sicher sei aber keine Religion im Hintergrund.
Als Kontemplationslehrerin, die lange Zeit von dem Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger begleitet und später autorisiert wurde, diesen mystischen Erfahrungsweg in seiner Linie weiterzugeben, möchte ich Sie gern an meinen Gedanken dazu teilhaben lassen.
Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, dass ich selbst in einem wenig religiösen Kontext aufgewachsen bin, zwar katholisch getauft, aber zu Beginn meiner „Religionsfreiheit“ mit 14 Jahren entschieden habe, nicht mehr teilzunehmen. Später erfolgte der Austritt, als ich volljährig war. Die folgenden Jahre begann ich unterschiedliche Meditationsformen in verschiedenen kulturellen Richtungen. Überall begegneten mir Dogmen, ein Überbau, der mich davon abhielt, die Stille zu erfahren.
Bei Willigis Jäger endete meine spirituelle Suche, da ich dort in Freiheit meinen Weg gehen konnte, erst über die Integrale Spiritualität, recht schnell dann aber in der Kontemplation. Ich habe es selbst nicht verstanden, warum dieser mystische Weg und ich uns trafen, anzogen. Hier fand ich die Stille, wie ich sie immer gesucht habe. Und nicht nur das.
Hier entwickelte sich auch die Gewissheit, dass alle Wesen dem einen Urgrund angehören, mehr noch, dass sie die Geschöpfe dieses Urgrunds sind. Inwendig, das Potenzial lebend, das jeder einzelnen Form gegeben ist, ko-kreativ. So konnte ich die Natur erleben, die nur im Jetzt lebt und atmet. Und uns Menschen, die oft durch Ge-Schichten daran gehindert werden, im Moment zu sein, in dem das lebendige Potenzial fließt.
Ich konnte im Du, im Wir die gemeinsame Herkunft erfahren, die Stille, die gemeinsame Heimat außerhalb von Raum und Zeit. Und ich konnte erfahren, dass in Raum und Zeit eine Erinnerung an diese Heimat vorhanden ist – und wenn sie nicht gefühlt wird, bleibt die Sehnsucht danach.
Wir sind als Menschen diesem ewigen Grund verbunden, genauso wie die Gezeiten, der Wald, die Tiere und Pflanzen. Wir sind der Grund und der Ausdruck. Unberührt und schöpferisch zugleich. Sein und Werden.
Die mystisch erfahrenen Urvölker haben unsere Mitwelt mit Ehrfurcht behandelt. Als wenn es ein Organismus wäre. Es ist ein Organismus.
Und das erleben wir jetzt in Angesicht unserer Ohnmacht, wenn wir uns die Dimension des Klimawandels bewusst machen. Viele von uns erinnern sich an die friedensbewegte Zeit in den 80er-Jahren, die Sicht der Grünen und die Mahnung, unsere Verantwortung für die Welt ernst zu nehmen. Viele Entwicklungshelfer sind in ferne Länder gereist, weil uns der Andere, der Fremde in seiner Not nicht egal sein kann. Viele Menschen heute schließen sich zu Gemeinschaften zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Dass das WIR größer ist als die Summe seiner Teile, das ist mittlerweile neu erfahrene Realität.
In den Aufstellungen von Inneren Systemen spricht man vom Selbst, das die einzelnen Aspekte gütig, mit essenziellen Qualitäten ausgestattet, zu einer friedlichen Koexistenz anleitet.
Wir sprechen von beseelten Augenblicken, in denen eine Präsenz erfahrbar wird, die uns friedlich, ruhig, manchmal ehrfürchtig, in großer Klarheit oder Mitgefühl zurücklässt.
Das alles ist durch die Praxis der Kontemplation, der mystischen Wege erfahrbar, vertieft sich im Alltag, nimmt seinen Platz im Alltag ein.
Veränderung, Wandel, Heilung sind also dann möglich, wenn es etwas gibt, das mächtiger ist als unser kleines Ich. Das erfahre ich in Aufstellungen, in der transpersonalen Prozessarbeit, im Kontext des „Sitzens in der Stille“, im Inneren Erforschen nach Richard Stiegler, in tiefen Begegnungen mit Menschen.
Alle Begrifflichkeiten, die es versuchen zu erklären, Quantenphysik, morphogenetische Felder usw. haben ihre Berechtigung. Mir fehlt aber das „Heilige“ darin, das, vor dem ich auf die Knie gehen möchte, wie selbst Ken Wilber sagt. Und das sage ich als Konfessionslose und als Nicht-Wissenschaftlerin.
Nur wenn das Heilige sein darf, wenn die Ehrfurcht vor dem Gegenüber, der Schöpfung wieder erfahren werden kann, kann das Destruktive in Form von Ausbeutung und Gier zurückweichen.
Unsere Lebensgrundlage sollte uns heilig sein. Sie zu bewahren und zu beschützen ist unser aller Auftrag. Zu lange wurde sie ausgebeutet, dem kleinen Ich untergeordnet. Johannes Tauler, ein Mystiker aus dem 16. Jahrhundert schreibt dazu: Das Ich hätte gerne etwas…
Wenn wir beginnen, im Leid der anderen unser eigenes Leid zu erfahren, wenn wir beginnen, das Heilige unserer Lebensgrundlage zu würdigen, wenn wir aufwachen, Erbarmende werden, dann haben wir eine Chance, die Zukunft menschlicher zu gestalten. Wir müssen uns nicht entschuldigen, dass die mystischen Wege das schon lange wussten. Wir sollten sie nicht ausgrenzen, sondern die Schönheit zulassen, die sie uns schenken:
Ein Ausdruck der Stille zu sein, eine unverwechselbare Note in der Sinfonie Gott, wie Willigis Jäger es sagt.
All denen, die die mystischen Wege vertreten, möchte ich zurufen: Versteckt euch nicht, es ist unsere Chance als Menschheit, uns wieder als EINS zu fühlen und entsprechend verantwortlich zu handeln. In Liebe und Dankbarkeit dem Leben gegenüber, unterstützend. Denn wenn der Andere und ich eins sind, dann sind wir es alle. Und so wird das WIR wachsen können, das uns befähigt, heil zu werden und dem Ganzen zu dienen.
Und letztlich die großen Herausforderungen unserer Zeit mit-menschlich anzunehmen.

Andrea Schmidt ist Ergotherapeutin, Heilpraktikerin (Psychotherapie) und Kontemplationslehrerin (WdN – Linie Willigis Jäger).

www.weg-in-die-stille.de

evolve zum Thema:
WAS IST HEUTE HEILIG? – DAS MYSTERIUM UND WIR
https://www.evolve-magazin.de/archiv/ausgabe-18-2018/

Share this post:

Dr. Elizabeth Debold

For the last forty-some years, I have sought the answer to the question: how can we transform the dynamics of relationship and complexities of desire between women and men so that we all can thrive and reach our full human potential?

This inquiry has taken me from feminist activism in New York City to a doctorate in developmental psychology with Dr. Carol Gilligan at Harvard to a tumultuous global spiritual community that pioneered collective awakening and, finally, to an ongoing experiment in intersubjective emergence in Frankfurt, Germany.

I founded One World in Dialogue, an online forum to explore how intersubjectivity can bring us together across cultures to create new capacities in global consciousness. An author, transformative educator, journalist/editor, community leader and mentor, I have found the answer to my question in the amazing collective emergence of the Co-Conscious We and seek to share its potential in all that I do.